
Souverän durch den Praxisalltag: Umgang mit schwierigen Situationen
Zeitdruck, mehr administrative Aufgaben und zunehmend fordernde Patientinnen und Patienten: Fachpersonen werden im Praxisalltag tagtäglich mit verschiedensten Herausforderungen konfrontiert. In diesem Beitrag erhalten Sie Tipps und Strategien, die im Umgang mit schwierigen Situationen helfen können.
In Arztpraxen treffen täglich unterschiedlichste Menschen mit ihren jeweiligen Anliegen, Bedürfnissen und Emotionen aufeinander. Die Arbeitsbelastung und der Zeitdruck sind bei vielen Ärztinnen und Ärzten sowie medizinischen Praxisangestellten gross. Gleichzeitig fühlen sich Patientinnen und Patienten unwohl, haben Schmerzen oder sogar Angst und kommen mit konkreten Erwartungen oder Forderungen in die Praxis. Eine Situation in der es leicht zu Konflikten kommen kann. Um diesen möglichst vorzubeugen oder bereits bestehende Konflikte entschärfen zu können, braucht es vor allem Einfühlungsvermögen und eine klare, wertschätzende Kommunikation.
Wertvoller Perspektivenwechsel
Um mit schwierigen Situationen besser umgehen zu können, ist es wichtig, die Hintergründe von (heraus-)fordernden Verhaltensweisen von Patientinnen und Patienten zu verstehen. Manche kommen mit klaren Vorstellungen in die Praxis, die durch Online-Recherchen beeinflusst sind. Sie haben hohe Erwartungen an die medizinische Versorgung, Zweifel an ärztlichen Empfehlungen oder den Wunsch nach bestimmten Behandlungen oder Medikamenten. Manche sind unhöflich, andere treten sogar aggressiv auf. Als erste Ansprechpersonen der Patientinnen und Patienten werden Praxismitarbeitende mit diesem schwierigen Verhalten konfrontiert – das kann belastend sein. In solchen Situationen ist es hilfreich, sich in die Lage des Gegenübers zu versetzen und zu versuchen, dessen Sicht- und Verhaltensweisen zu verstehen. Denn die meisten verbalen Angriffe sind nicht persönlich gemeint, sondern Ausdruck von Emotionen wie Angst oder Überforderung. Ein Perspektivenwechsel kann dabei helfen, die Gründe für schwieriges Verhalten besser zu verstehen.
Aktiv Zuhören und positiv formulieren
Im Umgang mit fordernden Patientinnen und Patienten oder anderen schwierigen Situationen im Praxisalltag spielt Kommunikation eine Schlüsselrolle. Eine wichtige Technik, die dabei hilft, Konflikte zu vermeiden oder zu entschärfen ist das aktive Zuhören. Ziel ist es, echtes Interesse am Gegenüber und den Gesprächsinhalten zu zeigen. Mit Ihrer Körpersprache, also beispielsweise durch Nicken oder Blickkontakt, mit Rückfragen oder kurzen Zusammenfassungen zeigen Sie Ihrem Gegenüber, dass es gehört und verstanden wird. Ebenfalls zentral sind positive Formulierungen. Hier geht es darum, den Patientinnen und Patienten aufzuzeigen, was möglich ist, anstatt zu sagen was nicht möglich ist. Statt «Morgen geht es nicht» sagen Sie beispielsweise «Wir können Ihnen am Mittwoch oder Donnerstag einen Termin anbieten», «Das weiss ich nicht» ersetzen Sie durch «Das kläre ich gerne für Sie ab». Kleine Anpassungen, die eine grosse Wirkung auf den Gesprächsverlauf haben können.
Wertschätzend kommunizieren
Wie etwas gesagt wird, ist mindestens genauso wichtig, wie das Gesagte selbst. Ein Modell, das dabei hilft, respektvoll miteinander zu kommunizieren, ist jenes der gewaltfreien Kommunikation. Ziel des Modells von Marshall Rosenberg ist es, von einer von Vorurteilen und Vorwürfen geprägten Kommunikation hin zu einer empathischen, wertschätzenden Kommunikation zu gelangen. Rosenberg definierte dafür vier Schritte: In einem ersten Schritt erfolgt die Beobachtung. Hier geht es darum, die schwierige Situation mit ICH-Botschaften und ohne Bewertung zu beschreiben. So kann das Gegenüber wohlwollend zuhören, ohne eine verteidigende Position einzunehmen. In einem nächsten Schritt werden die Gefühle, die in der Situation aufgekommen sind, beschrieben. Basierend auf den Gefühlen wird dann im dritten Schritt ein Bedürfnis formuliert. Ist das Bedürfnis klar geworden, kann daraus auf positive Weise eine konkrete Bitte formuliert werden. Diese vier Schritte ermöglichen eine wertschätzende und empathische Kommunikation und helfen mit, Konflikte zu vermeiden oder konstruktiv zu lösen.
Nimmt beispielsweise eine Patientin oder ein Patient die Medikamente nicht wie vereinbart ein, könnte die Situation gemäss dem Modell der gewaltfreien Kommunikation folgendermassen angesprochen werden: «Ich habe festgestellt, dass Sie Ihre Medikamente nicht wie besprochen eingenommen haben (Beobachtung). Das macht mir etwas Sorgen, weil ich mir wünsche, dass Ihre Behandlung gut verläuft (Gefühle). Mir ist es wichtig, dass Sie die Behandlung verstehen und sich damit wohlfühlen (Bedürfnis). Können sie mir sagen, was Sie benötigen, damit die Einnahme für Sie einfacher wird? (Bitte)».
Abgrenzung und Unterstützung
Im ohnehin hektischen und herausfordernden Praxisalltag kann der Umgang mit zunehmend fordernden Patientinnen und Patienten zur Belastung werden. Während mit Geduld, Empathie und einer klaren, wertschätzenden Kommunikation viele (potenziell) schwierige Situationen vorgebeugt oder gelöst werden können, gibt es auch Momente, in denen klare Grenzen gezogen werden müssen. Wird eine Patientin oder ein Patient ausfällig oder persönlich verletzend, braucht es ein klares «Stopp». Der Patientin oder dem Patienten sollte klar kommuniziert werden, dass dieses Verhalten nicht akzeptabel ist und das Gespräch auf diese Weise nicht fortgeführt werden kann. Je nachdem kann das Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt respektvoll fortgesetzt werden. Wird die Belastung für die entsprechende Fachperson allerdings zu hoch, sollte der Fall von einer Kollegin oder einem Kollegen übernommen werden. Damit sich die die Mitarbeitenden in schwierigen Situationen gegenseitig unterstützen können, ist ein offener, konstruktiver Austausch im Team zentral.
Vollständig vermeiden lassen sich schwierige Situationen im Praxisalltag nicht. Dennoch kann viel dafür getan werden, solchen Situationen vorzubeugen oder sie gut zu lösen. Kommunikation spielt dabei eine entscheidende Rolle: Damit die Zusammenarbeit funktioniert – sowohl im Team als auch zwischen den Praxismitarbeitenden und den Patientinnen und Patienten – und die Motivation dieser aufrechterhalten werden kann, ist es wichtig, echtes Interesse am Gegenüber zu zeigen und klar, wertschätzend und empathisch zu kommunizieren.
Was für Erfahrungen haben Sie bereits im Alltag gemacht und wie gehen Sie mit solch schwierigen Situationen um? Wir sind gespannt auf Ihre Erfahrungsberichte und Anregungen sowie Tipps für Kolleginnen und Kollegen.
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